Eindrücke aus einem "Seidendorf"

Eindrücke aus einem „Seidendorf“

Nachdem ich letzte Woche bereits über den Stoff-Einkauf in Bangkok berichtet habe, möchte ich heute erzählen, wie Seide von Hand hergestellt wird.

Eigentlich wollten wir „nur“ ein paar Khmer-Ruinen angucken. Phanom Rung entlohnt den Reisenden für die lange Fahrt aus Bangkok schon mehr als genug. Der Anblick der etwa 1000 Jahre alten Ruinen ist atemberaubend und die Aussicht über die Reisfelder unglaublich. In der direkten Nachbarschaft gibt es aber noch einen zweiten Tempel (Prasat Mueang Tam), der ebenfalls sehenswert ist. Dort standen verlockende Schilder, die ein „Thai Silk Village“ versprachen. Wir haben es versucht – und standen vor verschlossenen Türen: Keine Seide, keine Webstühle, keine Infos. Auf dem Weg in die Provinzhauptstadt Buriram kamen wir sogar noch einmal an so einem Schild vorbei und konnten wieder nichts finden, was nach Seide aussah. Ich war schon enttäuscht und wollte aufgeben.

In Buriram (der Stadt) machten wir dann auf der Grundlage eines Zeitungsartikels einen letzten Anlauf. Auf Nachfrage (mein Freund spricht Thai, was uns unglaublich geholfen hat und auch später noch sehr wichtig wird), vorbei einigen Kuhherden und Schlaglöchern fanden wir endlich Ban Sa-nuam. Dort folgten wir hauptsächlich unseren Ohren, bis ich der Meinung war, ich könnte einen Webstuhl hören. Im Hinterhof eines Wohnhauses stand ein mechanischer Webstuhl, an dem definitiv Seide von Hand gewebt wurde. Bei dieser ersten Begegnung plauderte mein Freund nett mit der Weberin, ich durfte den Webstuhl inspizieren und den Stoff (buntes Karo in Gelb/Grün/Rot-Tönen) bewundern. 

Der Weg nach Ban Sa-Nuam: links ein Wasserbüffel, rechts die Schlaglöcher.

Wir fanden dann eine sehr nette und hilfreiche Dorfbewohnerin, die in ihrem Haus auch zwei Zimmer als “Homestay” für Touristen betreibt. Sie führte uns zu verschiedenen Häusern im Dorf, wo die Frauen die verschiedenen Arbeitsschritte durchführen. Sogar als echte Thailänder in der eigenen Seide wurden wir verkleidet! Man konnte fühlen, dass sie stolz auf ihr Dorf ist – sehr zurecht, denn nie hätte ich erwartet, so viel sehen und anfassen zu dürfen!

Thailändische Tracht

Die Seidenraupen

Die Eier, aus denen die Raupen schlüpfen, werden auf doppelseitiges Klebeband gelegt. Wir konnten leider die ausgewachsenen Motten, die dafür am Leben gelassen werden, nicht sehen, doch es gehen ganz schön viele Eier auf ein Blatt Papier. Die Raupen müssen erst ausgiebig für ca. 4 Tage gefüttert werden, bis sie sich verpuppen. Sie leben dabei in großen, flachen Tabletts, die mit Tüchern und Moskitonetzen vor Fliegen geschützt werden. Fliegen sind wohl der Gesundheit der Raupen abträglich, oder die Fliegen fressen das Futter – so ganz genau haben wir das nicht verstanden.  Als Futter dienen dabei Maulbeerbaumblätter, die einfach auf die Raupen gelegt werden können.

Die fertigen Seidenraupen-Puppen warten dann ebenfalls gut geschützt auf ihre….ähhhh…..Weiterverarbeitung.

Oben: die Eier, aus denen die Raupen schlüpfen, werden auf Klebeband gelegt, die Raupen werden mit Tüchern vor Schädlingen geschützt. Unten: Raupen und Seidenkokons

Das Spinnen eines Seidenfaden

Die Kokons werden – inklusive Raupe – in heißes Wasser geworfen. Aus vielen Kokons wird ein Garn gesponnen. Dabei werden ab und zu die abgewickelten Kokons entfernt und ein paar neue dazu geworfen. Damit das neue Filament auch mit abgewickelt wird, werden die Kokons etwas gerührt, sodass sich der Anfang der neuen Fäden an den bereits abgewickelten fängt.

Die Raupen sterben natürlich im heißen Wasser. Allerdings sterben sie bei weitem nicht nur für die Mode, sie landen vielmehr auf dem Küchentisch. Die Raupen direkt aus dem Spinntopf schmecken leicht nussig und sind durchaus genießbar. Es gibt sie aber auch frittiert und mit Gewürzen als Snack, allerdings waren sie mir gebraten zu mehlig.

Das Spinnen der Seidenfäden

Der Faden, der so gesponnen wird, fühlt sich sehr hart und strohig an und besitzt eine leuchtend gelbe, orangene, hellgelbe oder auch grünliche Farbe. Diese Unterschiede stellen verschiedene Qualitäten der Seide dar. Damit daraus die weiche, glänzende Seide wird, müssen die Fette, die den Kokon verkleben, entfernt werden. Dafür wird ein Feuer geschürt und Wasser zum Kochen gebracht, ein Palmenblatt aus dem Nachbargarten dient als Halter für den Garnstrang. Ein Thai-Suppenlöffel voll weißem Pulver (es handelt sich dabei um Alkali, genaueres konnten wir nicht in Erfahrung bringen) wird im Wasser gelöst. Die Seidenstränge werden darin gekocht. Die Fette aus dem Garn verseifen, sodass sich Schaum auf dem Wasser bildet. Die Seide wird bei diesem Vorgang auch deutlich heller. Wie lange die Seide kochen darf, ist wohl Gefühlssache und wird am Griff und der Farbe eingeschätzt. Anschließend wird das Garn gewaschen und zum Trocknen aufgehängt.

Die Seife, die sich im übrigen gebliebenen Wasser befindet, kann weiterverwendet und zu Kosmetik verarbeitet werden. In unserem Fall wurde das Wasser einfach in der Einfahrt ausgekippt.

Oben: verschiedene Seidenqualitäten vor dem Auskochen und die Verseifung im Heißen Wasser Unten: Auswringen der Garnstränge und ein vorher-nachher Vergleich einer hellen Qualität

Das Färben der Garne

Die Stoffe werden alle als Garnfärbung hergestellt – auch die sogenannte Mud-Mee (die Musterungsart ist eher als Ikat bekannt, aber in Thailand heißt es Matmi oder Mud-Mee) Seide, die geometrische Muster hat.

Um ein Mud-Mee-Muster herzustellen wird der Schussfaden so aufgewickelt, dass er auf Webbreite liegt. Anschließend wird er – ähnlich wie bei Batik – mustermäßig abgebunden und anschließend gefärbt. Dabei wird wohl additiv vorgegangen, sodass in mehreren Färbeprozessen immer wieder Bereiche aufgebunden werden, die anschließend im nächsten Färbebad überfärbt werden. 

Vorbereiten des Schussgarns für ein Mud-Mee-Muster

Für das Färben wird ein Feuer geschürt und Wasser erhitzt. Ins heiße Wasser wird der Farbstoff eingeführt. Wir haben Orange gefärbt. Das das Garn im vorherigen Schritt recht hell geworden war, wurden 2 Päckchen Farbe verwendet. Die Färbezeit wird ebenfalls daran abgeschätzt, wie das Garn aussieht. Zwei mal in kaltem Wasser ausgewaschen, zum Trocknen aufgehängt und fertig. 

In dem kleinen Laden, der sich in der Einfahrt des Homestay befindet, gibt es auch Stoffe, die mit natürlichen Farben gefärbt werden, die aus der lokalen Flora gewonnen werden. Die Farbe dieses eleganten Stoffes liegt im grün-grauen Bereich.

Oben: Feuer anzünden, Färbebad Unten: Auswaschen und pflanzengefärbte Bluse in grün-beige

Das Weben

Im Dorf gab es verschiedene Handwebstühle. Die erste Art verfügt über einen mechanischen Schusseintrag, bei dem das Schiffchen durch Zug an einer Schnur geschossen wird. Die Kette ist auf einem Kettbaum aufgewickelt, sodass ca. 120m am Stück gewebt werden  können. Die Schäfte aus aufgereihten Litzen aus Schnur werden mit den  Füßen bewegt, während der Rietanschlag und der Schusseintrag mit den Händen erfolgt. Diese Art Webstuhl wird ca 50km entfernt in der nächsten Provinz hergestellt.

Webstuhl Typ1: Schusseintrag über Seilzug, Kettbaum vorhanden

 

Eine zweite Art Webstuhl ist ähnlich im Prinzip, hat jedoch keinen Mechanismus für den Schusseintrag, sodass das Schiffchen von Hand durch das Webfach geschoben werden muss. Es fehlt auch der Kettbaum, sodass die Kettfäden nur durch Festbinden an einem Pflock gespannt werden. Hier ist die maximale Länge der Kette dadurch vorgegeben, dass es in Thailand ab und an heftig regnet. Länger als die Überdachung kann also kein Stoff werden.

Webstuhl Typ 2: Schusseintrag von Hand, kein Kettbaum

An beiden bisher vorgestellten Webstühle lassen sich einfache Schaftmuster weben. 8 Schäfte sind wohl möglich und können mit den Füßen betätigt werden.

Für komplizierte Randmuster, wie sie in der traditionellen thailändischen Kleidung vorkommen, gibt es eine zusätzliche Mustereinrichtung. Der Webstuhl, den wir gesehen haben, ist eine Art Mischform aus den beschriebenen Webstühlen: Er hat einen Kettbaum, aber der Schuss wird von Hand durch das Fach geführt.  Zwei reguläre Schäfte halten alle Fäden für das Leinwand Grundmuster. Neben diesen gibt es aber weitere Litzen, in denen die Fäden mustermäßig eingezogen sind. Im Video kann man ca. 40 Trennstäbe erkennen, mit deren Hilfe die verschiedenen Muster ausgewählt werden. Ein Stab wird gelöst, die Litzen, die sich vor dem Stab befinden, werden von Hand angehoben und eine Art Paddel wird durch das Fach geschoben. Das Paddel wird gedreht um eine Fachöffnung für den Schusseintrag zu erhalten. Ein einfaches Pferdemuster hat einen Rapport von 14 Fäden, d.h. Dieser Vorgang muss 14 Mal wiederholt werden um eine einzelne Wiederholung des Musters zu Weben. Ein geometrisches Muster aus unterschiedlichen Quadraten hat einen Rapport von 25 Fäden. Der Webstuhl wird von einer einzelnen Person bedient. Möglicherweise wird die Mustereinrichtung nach vorne geschoben, wenn sie im Einsatz ist, das haben wir nicht ganz in Erfahrung bringen können.

 

Die Stoffe

Die Muster der Stoffe sind sehr unterschiedlich. Wir sahen Karo-Muster in leuchtenden Farben, Diamant-Schaftmuster, Mud-Mee-Seide, gestreifte Designs aber auch die typischen figürlichen Muster. Gerne wird auch eine Bordüre oder ein andersfarbiger Randstreifen gewebt.

Von oben nach unten: 8-Schaft-Muster, Karo, Uni in Violett und Mud-Mee-Seide

Die Dame, die uns bei unserem Besuch betreute und durch das Dorf führte, war mit Ihren eigenen Erzeugnissen sehr kritisch. Der Meterpreis unserer Einkäufe lag zwischen 15-25€ für Uni und Mud-Mee-Seide.

Wir waren begeistert von der Gastfreundschaft, die uns entgegengebracht wurde! Ein Besuch in einem Seidendorf ist auf alle Fälle empfehlenswert, auch wenn man sich eigentlich gar nicht so sehr für Seide an sich interessiert. Allein die Kunstfertigkeit, mit der die Frauen des Dorfes weben, macht den Besuch zum Erlebnis. Für alle, die noch nicht überzeugt sind, gibt es in der Provinz Buriram gutes Essen, Khmer-Ruinen, Fußball und Motorsport-Rennen.

Ein kleines Aber: die Verständigung auf Englisch wäre schwierig geworden und ich war sehr froh, dass mein Freund Thai spricht.

 

Verlinkt bei Freutag!

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